Stuttgarter Nachrichten vom 5.4.2011: Fahrgäste wollen durch die Hintertür in den Bus

Veröffentlicht am 05.04.2011 in Presseecho

Bei Gedränge vorne im Bus steigt Sturzgefahr für ältere Menschen - Stadträte fordern SSB auf, das neue System flexibel zu handhaben

Seit Ende Februar gilt für alle Linienbusse der Stuttgarter Straßenbahnen (SSB): Einsteigen nur vorn. Viele Passagiere sehen darin den Grund für Gedränge und Verspätungen. Im Gemeinderat wird die Forderung laut, das System zu überdenken. Die SSB halten das für verfrüht.

Von Eva Funke

STUTTGART. Seit einem Monat dürfen Fahrgäste in Bussen nur noch vorne einsteigen. Die SSB wollen so von jedem Passagier die Fahrkarte kontrollieren. Doch diese Praxis führt inzwischen zu vielerlei Beschwerden. Unter anderem darüber, dass zu viele Passagiere statt durchzugehen im Eingangsbereich stehen bleiben. Dies führt zu Gedränge und zu Verspätungen. Daniel Campolieti, Vorsitzender der SPD in Stuttgart-Ost, hat dies bei der Buslinie 42 beobachtet. „Die Busse durch den Stuttgarter Osten haben aufgrund der neuen Regel sehr viel längere Standzeiten an den Haltestellen.” Er gewinne „den Eindruck”, dass die Fahrer den Zeitverlust durch schnelleres Fahren aufholen wollen. Drängelei im vorderen Busbereich sei mittlerweile in den meisten Linienbussen an der Tagesordnung.

SSB-Kunden, die wir an den Haltestellen befragt haben, bestätigen das: „Vor allem in den Gelenkbussen mit drei Türen ballen sich die Fahrgäste vorn”, klagt Ursula Fechner (65), Rentnerin aus Stuttgart-Ost. Sie weist auf lange Wartezeiten bis zur Abfahrt am Morgen hin, vor allem wenn Schüler einsteigen. Für ältere Passagiere ohne Sitzplatz sei das gefährlich. Denn die Fahrer würden Gas geben, um den Fahrplan einzuhalten, hat die 65-Jährige beobachtet. Sie fürchtet: „Da kann es ganz schnell zu Stürzen kommen.” Die Busfahrer seien so im Stress, dass sie, zumindest zu den Hauptverkehrszeiten, die Gültigkeit der Fahrausweise nicht prüfen würden.

Rechtsanwalt Herbert Rosenberger (59), ebenfalls aus dem Stuttgarter Osten, hat sich an das neue Einstiegssystem gewöhnt. Er räumt aber ein, dass es schwierig sei, in verstellten Gängen in den hinteren Bereich des Busses zu gelangen, insbesondere mit Gepäck und in den Gelenkbussen. Auch Architekt Ingo Pelchen (44) hält die Kritik bei den mindestens 18 Meter langen Gelenkbussen während der Hauptverkehrszeiten für gerechtfertigt.

Andere SSB-Kunden wie Vincent Golzinger weisen darauf hin, dass der Vordereinstieg bei anderen Unternehmen im Stuttgarter Verkehrs- und Tarifverbund (VVS) schon längst eingeführt ist. „Es ist doch verständlich, dass die SSB das Schwarzfahren verhindern wollen. Nach einer gewissen Zeit gewöhnen sich die Leute wie in anderen Städten daran, vorn einzusteigen”, sagt der 19-jährige Student.

Ein Busfahrer, der nicht genannt sein möchte, bezweifelt den positiven Effekt der Umstellung: Die Ticketkontrolle funktioniere nur bedingt. Vor allem die Monatskarten seien „aufgrund der unterschiedlichen Ausdrucke” schwer zu überprüfen. Vehement weist er allerdings den Vorwurf zurück, man würde schneller fahren, um die längeren Aufenthaltszeiten auszugleichen: „Das mache weder ich noch tun das meine Kollegen.” Laut SSB entgehen dem Unternehmen durch das Fahren ohne gültigen Fahrschein pro Jahr ein zweistelliger Millionenbetrag.

Die Kritik vieler Passagiere ist inzwischen beim Fahrgastbeirat angekommen. Das ehrenamtliche Gremium, das beratende Funktion hat, wurde vom VVS ins Leben gerufen und soll Ansprechpartner für Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel sein. „Wir zählen die Beschwerden zwar nicht. Aber wir bekommen sehr viele negative Rückmeldungen”, sagt Beiratsprecher Wolfgang Staiger. Vor allem der „Kontrollwahn” des Unternehmens würde die SSB-Kunden „nerven”. Bei allem Verständnis dafür, dass das Schwarzfahren eingedämmt werden soll, fordert das Gremium die SSB auf, Abhilfe zu schaffen.

„Nachbesserungen” hält auch der Stadtseniorenrat für notwendig. In ihrer Mobilität eingeschränkte Menschen dürften zwar hinten einsteigen. Doch würden Fahrer Gehprobleme häufig nicht erkennen und die Passagiere zur Billettkontrolle nach vorn zitieren, hat der stellvertretende Vorsitzende Werner Schüle beobachtet. Die Sturzgefahr für Senioren hält er in diesem Gedränge für sehr groß. Um das Problem zu lösen, schlagen die SPD-Stadträte vor, während der Hauptverkehrszeiten „eventuell zur alten Praxis zurückzukehren” und das Einsteigen an den hinteren Türen zuzulassen. Auch die Stadträte von CDU und Grünen fordern eine Überprüfung des Vordereinstiegs.

„Das Thema ist ein Dauerbrenner und muss gelöst werden”, sagt CDU-Stadtrat Jürgen Sauer. Er plädiert für flexible Lösungen, die den Busfahrern gestatten, Fahrgäste bei großem Andrang hinten einsteigen zu lassen. Jochen Stopper von den Grünen sieht die Gefahr, dass unter der neuen Regel der Fahrkomfort leidet und fordert die SSB auf, einen Erfahrungsbericht vorzulegen.

Den SSB sind die Probleme bekannt, doch sie wollen sich vorerst nicht zu dem Thema äußern. „Wir sammeln in den nächsten drei Monaten die Erfahrungen, werten sie dann aus und werden im Sommer Bilanz ziehen”, so Sprecherin Birte Schaper.

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