Aschermittwoch bei SPD: Wieder über 60 Prozent der Stimmen - wie 1919

Mit Selbstbewusstsein in den bevorstehenden Wahlkampf zu gehen, das empfahl Jörg Tauss, Generalsekretär des SPD-Landesverbands, seinen Parteifreunden in Stuttgart-Ost beim Politischen Aschermittwoch. Wahlergebnisse entsprechend der sozialdemokratischen Tradition im Stadtbezirk wünscht sich der Ortsvereinsvorsitzende Daniel Campolieti.

OSTHEIM

Bei der Gemeinderatswahl 1919 erreichte die SPD, zusammen mit den anderen linken Parteien, in Gaisburg und Ostheim über 60 Prozent der Stimmen. "Da wollen wir wieder hin", gab Campolieti die Marschrichtung vor. Eine zentrale Rolle im Wahlkampf spielen für den 30-Jährigen die Themen kinderfreundlicher Verkehr, Kinderbetreuung und Wohnen im Stuttgarter Osten. Das seien keine politischen Eintagsfliegen: "Wir arbeiten kontinuierlich daran." Rückenwind aus seiner Partei erhoffte er sich von Jörg Tauss, dem Hauptredner des Abends. "Der Wall-Street-Kapitalismus ist gescheitert", begann Tauss, gebürtiger Stuttgarter und Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Karlsruhe-Land. "Überall brennt es." Belehrungen brauche die SPD in dieser Situation keine, weder von CDU/CSU und FDP noch von der Linkspartei.

Insbesondere die Forderungen der letzteren seien alles andere als seriös: "Wenn die SPD zum Beispiel sagt, wir brauchen 7,50 Euro Mindestlohn, dann spricht die Linke von acht Euro." Zudem kritisierte Tauss Oskar Lafontaine, heute Vorsitzender der Linkspartei, für seinen Abgang als Finanzminister und SPD-Chef vor zehn Jahren. Nichtsdestotrotz ist das Verhältnis zwischen SPD und Linken noch nicht abschließend geklärt, wie die Ereignisse der letzten Monate in Hessen gezeigt haben. Die Aufforderung der CDU-Bundeskanzlerin an Papst Benedikt XVI., die Angelegenheit um den Holocaust-Leugner Bischof Williamson zu klären, bewertete der Generalsekretär der Landes-SPD positiv. Politische Gestaltungskraft könne er bei Angela Merkel ansonsten aber nicht ausmachen: "Wer keine Meinung hat, hat auch keine Meinungsführerschaft." Und: "Sie sitzt nur aus." Ebenfalls eine schlechte Note gab Tauss dem baden-württembergischen Kultusminister Rau: "Mit Einheitsunterricht und einer schlechten Personalpolitik hat er abgewirtschaftet." Demgegenüber hob er die Leistungen der SPD hervor. Ohne ihre Beteiligung an der Regierung im Bund gäbe es unter anderem keine Betriebsverfassung. Unseriös nannte Tauss des Weiteren Forderungen von FDP- und CSU-Seite nach Steuersenkungen: "Ein Staat, der pleite ist, kann nichts mehr für die Menschen tun." So würden Gerichtsbarkeit und Polizei nicht mehr funktionieren. Genauso problematisch sei es, die Krankenversicherung im Stil der Kraftfahrzeugversicherung zu organisieren: "Wer viele Schäden hat, fliegt raus. Wollen wir das?" Nicht nur die Parteien kritisierte Jörg Tauss, sondern auch das Verhalten mancher Bürgerinnen und Bürger. Es habe sich eine "Zuschauermentalität" entwickelt. Mit negativen Urteilen seien viele schnell bei der Hand, würden sich selbst aber nicht engagieren. "Gehen Sie mit Selbstbewusstsein in den Wahlkampf", riet er den versammelten Parteifreunden, unter denen sich unter anderen Manfred Kanzleiter (Fraktionsvorsitzender im Gemeinderat), Matthias Hahn (Bürgermeister Städtebau und Umwelt) und Ulrich Gohl (Bezirksbeirat Stuttgart-Ost) befanden. Die Ziele der SPD in der Landeshauptstadt umriss der Kreisvorsitzende Andreas Reißig. "Wir wollen nicht, dass die Wasserversorgung verloren geht. Und Kinderarmut muss thematisiert werden." 2008 lebten in Stuttgart mehr als 13 000 Minderjährige in so genannten Alg-II-Bedarfsgemeinschaften. Die CDU im Rathaus mache nur noch negativ von sich reden, etwa im Zusammenhang mit dem Großprojekt Stuttgart 21 oder der Bespitzelung von Mitarbeitern der Stadtverwaltung. Angesichts dessen erwartet Reißig bei den Kommunalwahlen eine "Renaissance der SPD". Für ihre Statements bekamen die drei Redner aus der Versammlung viel Zustimmung. Musikalisch umrahmt wurde der Abend vom Musikverein Stuttgart-Gaisburg, der Stücke im Big-Band- Sound zum Besten gab.